Cut the middle

Warum mittelfristige Planung nicht mehr funktioniert.

01.10.2025

Wenn Sie in 5 Jahren einen Exit planen oder Quartalsziele optimieren müssen, ist dieser Text nichts für Sie.

Hier geht es um langfristige Zukunftsfähigkeit. 20 Jahre plus.

Die meisten Unternehmer planen in 3-5-Jahres-Zyklen. Strategien. Businesspläne. Budgets. Die Performance wird per Soll-Ist-Analyse bewertet.

Das funktioniert nicht mehr.

Ich erlebe bei meinen Mandanten: Die Gültigkeit von Entscheidungen beginnt nach 6-12 Monaten zu erodieren. Abhängig von Branche und Wertschöpfung, aber der Trend ist eindeutig.

Die Halbwertszeit von Planung sinkt. Und trotzdem halten Organisationen am Ritual fest.

Der Fehler.

Ein typisches Quartalsgespräch:

Haben wir die Ziele erreicht?
Nein.

Warum nicht?
Analyse. Schuldige suchen. Rechtfertigungen.

Was tun wir?
Am Plan festhalten. Die Abweichungen korrigieren.

Am Jahresende: Das gleiche Spiel. Nächstes Jahr: Von vorn.

Der Denkfehler: Die Organisation verwechselt ihre internen Vereinbarungen mit der Realität.

Ein paar Menschen haben sich in einer Strategieklausur etwas ausgedacht – und die Organisation, die Kunden, der Wettbewerb, die Technologie sollen sich danach richten.

Das ist nicht Planung. Das ist Wunschdenken.

Warum Organisationen das tun.

Organisationen reduzieren Komplexität durch Entscheidungen. Das ist ihre Funktion. Planung gibt der Organisation das Gefühl von Kontrolle.

Das Problem: Organisationen behandeln ihre eigenen Konstrukte als Wahrheit.

Der Plan wird zur Realität erklärt. Jede Abweichung wird zum Versagen. Nicht der Plan hat versagt. Die Realität hat versagt.

Das führt zu einem absurden Muster: Die Organisation kämpft gegen die Wirklichkeit. Sie investiert Energie in die Verteidigung ihrer Prognosen statt in die Anpassung an neue Gegebenheiten.

Strategieklausuren sind Organisationstheater.

Die meisten Strategieklausuren folgen einem festen Ritual:

Die Geschäftsführung definiert Ziele

Es wird viel über das “Wie erreichen wir die Ziele?” gesprochen

Teams erarbeiten Maßnahmenpläne

Alle verlassen den Raum mit dem Gefühl: “Jetzt haben wir Klarheit”

Drei Monate später: Die Klarheit ist verschwunden. Der Markt hat sich anders entwickelt. Die Maßnahmen greifen nicht. Die Annahmen waren falsch.

Was bleibt? Ein schönes Dokument. Und das diffuse Gefühl, versagt zu haben.

Das ist nicht die Schuld der Beteiligten. Das ist die Logik mittelfristiger Planung in komplexen Umfeldern.

Was bleibt übrig?

Wenn Zeiträume zwischen 6 Monaten und 5 Jahren nicht mehr vorhersehbar sind, bleiben zwei Perspektiven:

Die ganz kurzfristige: Was können wir jetzt beeinflussen?
Die ganz langfristige: Wofür entscheiden wir uns?

Der mittlere Bereich? Voranirren. Kontinuierlich.

Das ist keine Fahrlässigkeit. Das ist Realismus.

Perspektive 1: Operative Klarheit (kurzfristig).

Die entscheidende Frage: Wie lang ist der Zeitraum, auf den wir zu 80% Einfluss haben?

Für manche Unternehmen sind das 3 Monate. Für andere 9 Monate. Nennen wir es 6 Monate.

Das bedeutet: Entscheidungen gelten nur bis dahin. Nach diesem Zeitraum werden sie kritisch geprüft. Nicht als Versagen. Als Realitätscheck.

Die Leitfrage.

Was braucht es in den nächsten 6 Monaten, um erfolgreich zu sein? Um Kunden zufriedenzustellen? Um anpassungsfähig zu bleiben?

Diese Perspektive ist radikal kundenorientiert. Sie fragt nicht: Was steht im Plan? Sie fragt: Was braucht der Markt jetzt?

Sie ist opportunistisch. Im besten Sinne. Sie reagiert auf das, was ist. Nicht auf das, was sein sollte.

Der Unterschied zu agiler Planung.

Das klingt nach Agilität. Ist es aber nicht.

Agile Methoden (Scrum, OKRs, Sprint-Planung) sind Werkzeuge. Sie lösen das Grundproblem nicht: Die Verwechslung von Plan und Realität.

Viele Organisationen implementieren agile Frameworks – und behandeln die Sprints wie neue Pläne. Gleicher Fehler, kürzere Zyklen.

Der entscheidende Unterschied: Hier geht es nicht um Methoden. Sondern um die Akzeptanz, dass Planung keine Wahrheit erzeugt. Nur informierte Wetten.

Perspektive 2: Strategische Ausrichtung (langfristig).

Wenn kurzfristig alles flexibel ist – was gibt dann Orientierung?

Der langfristige Blick. 20 Jahre plus.

Das ist keine Prognose. Das ist eine Entscheidung. Eine Wette.

Und im Gegensatz zur kurzfristigen Perspektive ist diese Wette nicht opportunistisch. Sie ist nicht marktgetrieben. Sie ist intern referenziert.

Der archimedische Punkt.

Das Zukunftsbild ist die Unternehmerwette.

Es ist der Punkt, den Sie setzen. An dem sich alles ausrichtet. Der nicht verhandelbar ist.

Archimedes sagte: “Gebt mir einen festen Punkt, und ich bewege die Welt.”

Das langfristige Zukunftsbild ist dieser feste Punkt. Sie entscheiden, wofür Ihr Unternehmen in 20 Jahren stehen soll. Nicht der Markt. Nicht die Trends. Nicht die Berater.

Sie.

Das ist keine Anpassung an externe Erwartungen. Das ist eine Setzung. Eine innere Überzeugung darüber, was richtig ist.

Die entscheidenden Fragen.

  • Welche Kundenprobleme wollen wir langfristig lösen?

  • Wie groß wollen wir werden – und wie nicht?

  • Nach welchen Prinzipien entscheiden wir?

  • Was werden wir niemals anbieten?

  • Wie wollen Kunden uns wahrnehmen?

Diese Fragen verändern sich nicht jährlich. Sie sind der Anker, wenn kurzfristig alles schwankt.

Die Organisation denkt vom gewünschten Zukunftsbild rückwärts. Was muss heute passieren, damit wir in 20 Jahren dort sind, wo wir sein wollen?

Das ist strategische Klarheit.

Der Unterschied zu Werten.

Viele Unternehmen haben tolle Werte. Schöne Sätze auf der Website. Gerahmt im Besprechungsraum.

Die wenigsten nutzen sie als Entscheidungsgrundlage.

Der Test: Helfen die Werte und die Strategie bei der nächsten schwierigen Entscheidung? Wenn nicht, sind sie Dekoration.

Eine gute langfristige Ausrichtung ist exklusiv. Sie sagt klar, was Sie nicht tun werden. Sie schließt Optionen aus. Sie macht Entscheidungen leichter.

Wenn Ihre Werte auf jedes Unternehmen passen könnten, sind sie wertlos.

Warum intern referenziert?

Die kurzfristige Perspektive muss extern orientiert sein. Sie folgt dem Markt. Den Kunden. Dem Wettbewerb.

Die langfristige Perspektive darf das nicht.

Wenn Sie Ihr Zukunftsbild an Markttrends ausrichten, haben Sie keinen festen Punkt. Sie haben nur eine weitere Prognose. Die morgen überholt ist.

Die Unternehmerwette muss aus Ihnen kommen. Aus Ihrer Überzeugung. Aus dem, was Sie für richtig halten.

Sie können nicht führen, wenn Sie nur reagieren. Sie können nicht Orientierung geben, wenn Sie selbst keine haben.

Was wird aus der mittelfristigen Planung?

Soll jetzt gar nicht mehr geplant werden?

Doch. Aber anders.

Der Plan ist kein Vertrag mit der Zukunft. Er ist ein Reflexionswerkzeug.

Der Wert des Planungsprozesses.

Ein guter Businessplan wird nie Realität. Aber er zeigt, wie sehr sich die Verfasser mit der Materie auseinandergesetzt haben.

Der Prozess zwingt zur Klarheit:

Welche Annahmen treffen wir?

Was müsste passieren, damit unsere Wette aufgeht?

Welche Risiken sehen wir?

Das erzeugt Vertrauen. Nicht weil der Plan stimmt. Sondern weil er zeigt: Die Menschen haben nachgedacht.

Wie oft planen?

Das hängt von der Wertschöpfung ab.

Wer in Maschinen und Immobilien investiert, braucht längere Planungshorizonte. Wer mit Menschen und Software arbeitet, kann schneller anpassen.

Die Frage ist nicht: Planen oder nicht planen?
Die Frage ist: Wie gehen wir mit Abweichungen um?

Traditionell: Abweichung = Versagen
Neu: Abweichung = Information

Stabilität durch zwei Anker.

Die Varianz im mittleren Zeitraum lässt sich nicht vermeiden. Manche Quartale laufen gut, andere schlecht. Manche Entscheidungen zahlen sich aus, andere nicht.

Das ist keine Schwäche. Das ist die Realität unternehmerischen Handelns.

Aber: Wenn die langfristige Ausrichtung stabil ist und kurzfristig gute Entscheidungen für Kunden getroffen werden, führt das statistisch zum Erfolg.

Menschen und Organisationen streben nach Sicherheit. Sie können diese auch in komplexen Zeiten finden – durch zwei Anker:

Langfristige Ausrichtung – Wofür stehen wir in 20 Jahren? (intern referenziert)

Radikale Kundenorientierung – Was brauchen Kunden jetzt? (extern orientiert)

Alles dazwischen? Flexibel halten. Nicht festnageln.

Das Paradox der Planung.

Je unsicherer die Zukunft, desto wichtiger wird Orientierung.

Aber Orientierung entsteht nicht durch detaillierte Pläne. Sondern durch klare Prinzipien.

Die besten Unternehmer, die ich kenne, haben keine perfekten 5-Jahres-Pläne. Aber sie wissen genau, wofür sie stehen. Und sie treffen schnelle, kundenzentrierte Entscheidungen.

Der Rest ist Anpassung.

Warum das funktioniert.

Die Dynamik wird nicht abnehmen. Die Komplexität wird nicht verschwinden. Das liegt nicht in Ihrer Macht.

Sie können sich darüber ärgern. Oder Sie akzeptieren es.

Stoische Logik: Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie beeinflussen können.

Sie können nicht kontrollieren, was in 3 Jahren passiert.

Aber Sie kontrollieren:

  • Was Sie in 6 Monaten tun

  • Wofür Sie in 20 Jahren stehen wollen

  • Der Rest? Anpassung. Iteration. Lernen.

Das ist kein Scheitern. Das ist Unternehmertum.

Unternehmertum war nie die Fähigkeit, die Zukunft vorherzusagen. Sondern die Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen.

Die mittelfristige Planung suggeriert Kontrolle, die nicht existiert. Die zwei Anker geben Orientierung, ohne falsche Sicherheit zu versprechen.

Cut the middle. Behalten Sie die Enden.

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