Es klingt zu einfach, um wirksam zu sein.
Ein Führungsdilemma aus einem meiner Mandate mit einem kontroversen Lösungsansatz.
19.09.2025
Mein Mandant ist neu in seiner Rolle. Und er muss das Führungsteam von 13 Personen auf 9 reduzieren. Bis Ende des Monats. Diese beiden Punkte waren nicht verhandelbar.
Das Unternehmen ist inhabergeführt. Versteht sich als Familie. Spürt Druck, muss sich verändern und will niemand verletzen. Ein klassisches Dilemma.
Seine ersten Optionen:
Ein Assessment, das jeder durchlaufen muss
Kompakte Einzelgespräche mit einer Auswahl von "Wackelkandidaten"
Eine seiner größten Sorgen: der Flurfunk. Die Stimmung könnte kippen. "Wird es mich als nächsten treffen? Lohnt es sich überhaupt noch, sich zu engagieren? Geht es mit der Firma bergab?"
Verständliche Gedanken. Aber eher die des Systems, nicht seine. Ich begleite ihn schon lange und weiß: Er ist klar und nicht ängstlich.
Warum Assessments nicht funktionieren
Zuerst mein Input zur Assessment-Option: Wer Assessments macht, bekommt danach Mitarbeitende, die gut Assessments machen können. Ob sie wirklich zur Wertschöpfung beitragen, steht auf einem anderen Blatt.
Und: Alle gleich behandeln bedeutet nicht, alle fair behandeln. Es bedeutet das Gegenteil.
Ein Assessment suggeriert Objektivität, wo keine ist. Es verschleiert die Verantwortung des Entscheiders. Und es kostet Zeit, die er nicht hat.
Mein Vorschlag: Radikale Klarheit
Triff dich mit allen 13 und sag ihnen, wie es ist. Fang immer mit der Entscheidung an. Kein sugar coating. Keine PowerPoint. Menschen spüren und mögen es gar nicht, dass Ihnen eine schwierige Entscheidung, als was Tolles oder eine Chance verkauft wird.
Die Dramaturgie des Gesprächs:
Ich werde mich bis Ende des Monats von 4 von euch trennen. Das sind die Gründe: Punkt 1, 2 und 3.
Ich hätte mir gerne mehr Zeit genommen. Hätte mich gefreut, wenn ich das nicht direkt am Anfang machen muss. Aber ich werde euch das nicht schönreden.
Mit den verbleibenden 9 will ich ein Team werden, das wirklich funktioniert. Wir werden die Aufgaben und Rollen neu besprechen.
Ihr 5 (Namen nennen) seid die Kandidaten, aus denen ich auswählen werde. Die Gründe: Performance-Indikatoren und mein Bauchgefühl für das, was wir künftig brauchen.
Ich werde mit jedem von euch fünf ein zweistündiges Gespräch führen und danach entscheiden. Hier die Termine.
Seine erste Reaktion: Stille. Wie so oft. Er denkt nach, prüft den Vorschlag. Dann seine grundsätzliche Antwort: "Das fühlt sich stimmig an. Die anderen Ansätze haben sich falsch angefühlt. Ich will ehrlich mit meinen Leuten sprechen."
Wird er es genauso umsetzen? Natürlich nicht. Aber die Richtung bleibt.
Besonders der Punkt, die Namen der fünf Kandidaten zu nennen, kann sehr unterschiedlich bewertet werden. Ist das nicht zu hart? Werden Sie nicht bloßgestellt? Ist das rechtlich schwierig? Berechtigte Einwände.
Was würde wohl passieren, wenn er die Namen nicht nennt? Alle würden spekulieren. Und nach dem ersten Gespräch würde der Flurfunk die Runde machen.
In solch schwierigen Situation gibt es keine perfekte Lösung. Jede Entscheidung kommt mit Trade-offs.
Dann braucht es Prinzipien, die zur Persönlichkeit der Führungskraft passen. In diesem Fall sind es diese:
1. Menschen wollen Klarheit, nicht Schonung
Erwachsene Menschen können mit der Wahrheit umgehen. Sie müssen nicht beschützt oder geschont werden. Sie schätzen es, wenn sie wissen, woran sie sind.
Denn Unklarheit erzeugt Angst und Spekulationen.
2. Die Kommunikation bestimmen
Flurfunk findet immer statt. Er ist nicht zu vermeiden.
Selbst das ansprechen, was der Flurfunk eh sagt. Selber die kritischen Punkte ansprechen, anstatt zu hoffen, dass sie nicht angesprochen werden. Denn meistens werden sie angesprochen.
3. Faire Behandlung ist nicht gleiche Behandlung
Menschen sind unterschiedlich. Ihre Leistungen sind unterschiedlich. Ihre Situationen sind unterschiedlich.
Fair bedeutet: angemessen für die jeweilige Person und Situation. Nicht: für alle identisch. Denn gleich ist nicht automatisch auch fair.
4. Energie auf die richten, die bleiben
Bei schwierigen Entscheidungen wird es immer Ärger geben. Frustration. Unschöne Konsequenzen. Das ist unvermeidbar.
Es hilft, sich auf die zu konzentrieren, mit denen es weitergehen soll.
5. Die Intention muss sauber sein
Das alles funktioniert nur, wenn die Intentionen vor dem eigenen moralischen Spiegel vertretbar ist..
Wenn die Intention und Handlung nicht übereinstimmen, spüren das alle. Dann hilft auch die beste Kommunikation nicht.
Warum das funktioniert
Menschen sind intelligenter und eigenverantwortlicher, als wir ihnen es meist zutrauen. Sie merken, wenn wir sie für dumm verkaufen. Sie hassen Paternalismus mehr als schlechte Nachrichten.
Klarheit schafft Vertrauen. Auch wenn die Nachricht schlecht ist.
Vertrauen schafft Loyalität. Die, die bleiben, wissen: Dieser Chef sagt mir die Wahrheit. Auch wenn sie wehtut.
Es klingt zu einfach
Das höre ich oft. "Das kann doch nicht so simpel sein."
Doch, kann es. Die meisten Führungsprobleme sind nicht kompliziert. Sie sind nur unangenehm.
Wir verkomplizieren sie, weil wir die Unannehmlichkeit vermeiden wollen. Weil wir hoffen, es gäbe einen schmerzfreien Weg.
Den gibt es meist nicht.
Aber es gibt einen ehrlichen Weg. Einen, der Respekt zeigt. Einen, der Menschen als Erwachsene behandelt.
Die einfachste Lösung ist oft die passende. Nur nicht die bequemste.
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